Hummelkiller Silberlinde? Moment mal!
Silberlinde, Tilia tomentosa
Die Silberlinde gilt als einer der Hoffnungsbäume zur Anpassung vor allem der Stadtflora an den Klimawandel. Sie wächst schnell, verschattet effektiv und kommt sowohl mit hohen Temperaturen, als auch mit direkter Sonnenstrahlung klar. Ideal also für die oft extremen Mikroklimata in Städten. Ihren Wasserbedarf deckt sie mit ihrer langen Pfahlwurzel aus tieferen Bodenschichten – sie ist also nicht auf regelmäßigen Regen angewiesen. (Übrigens bildet sie als ältere Pflanze durchaus auch Seitenwurzeln.)
Wäre da nur nicht immer noch das Gerücht, die Silberlinde würde zum Insekten-, speziell zum Hummelsterben beitragen. Einer der genannten Gründe ist die angebliche Giftigkeit des Nektars, er enthalte die Zuckerverbindung Mannose. Das ist inzwischen aber widerlegt – seit 80 Jahren, und wurde auch in einem wissenschaftlichen Artikel von 2017 erneut bestätigt!
Pestizide: Ja, aber…
Ein echter Grund für tote Hummeln unter Linden könnten Pestizide sein. Vor allem in den USA gab es hierzu vor Jahren einen aufsehenerregenden Fall: 50.000 tote Hummeln im Bundesstaat Colorado (es ist nicht bekannt, unter wie vielen Bäumen diese Hummeln gezählt wurden). Dort wurde auch tatsächlich das Pestizid Dinotefuran gespritzt. Dinotefuran wirkt neurotoxisch auf Insekten. Hummeln starben allerdings schon massenweise, als es Dinotefuran noch gar nicht gab. Während also in Colorado durchaus das Pestizid für die toten Hummeln verantwortlich sein konnte, lässt sich nicht umgekehrt behaupten, dass Pestizide der Hauptgrund für tote Hummeln wären.
Und jetzt räumen wir das Thema mal von vorn nach hinten auf.
Die meisten Pflanzen in Mitteleuropa blühen recht früh, meistens im Frühling und in der ersten Sommerhälfte. Silberlinden jedoch gehören zu den späteren Blühern, sie blühen sogar einige Wochen später als Sommer- und Winterlinde. Das Nektarangebot für Hummeln und alle anderen Nektarsammler ist also deutlich größer vor als während der Silberlindenblüte. Insektenvölker wachsen auch ganz prächtig in Frühjahr und Frühsommer, und viele Tiere brauchen nunmal auch viel Nektar. Die Nektarmenge jedoch nimmt ab über den Jahreslauf. Zur Zeit der Silberlindenblüte sind nur noch wenige andere Nektarlieferanten vorhanden. Fun-Fact: Die Silberlinde liegt mit einem Zuckergehalt von ca. 0,7 mg pro Blüte und Tag ungefähr im Bereich der Sommerlinde und liefert etwa doppelt so viel Zucker als die Winterlinde.
Hungertod trotz Nahrungsaufnahme?
Das Zuckerangebot der Silberlinde ist also nicht zu gering – für die insgesamt vorhandenen Insektenpopulationen aber schon. Hinzu kommt, dass die Silberlinde auch bei abnehmender Nektarmenge weiterhin Hummeln anlockt. Die Hummeln „bemerken“ dann zu spät, dass ihre Sammelversuche zu wenig Ertrag bringen – und verhungern im Flügelschlag. Dass viele Hummeln gerade unter den Linden verenden, liegt an zwei Eigenheiten: Erstens fliegen Hummeln aus ihrem Bau mit leerem Magen los, sie sind also darauf angewiesen, bei den ersten Anflügen auf Blüten Nektar zu finden. Zweitens sind Hummeln wenig flexibel bei der Wahl der Futterpflanzen. Haben sie einmal die nektarreiche Silberlinde gefunden, suchen sie sie immer wieder auf und schaffen es nicht, auf andere Pflanzen zu wechseln, wenn die Nektarmenge nachlässt. In der Zeit, in der die Ergiebigkeit der Silberlindenblüte zuende geht, verschlechtert sich der Zustand der Hummeln auch in „normalen“ Gärten.
Sterben Hummeln als Koffeinabhängige?
Für die Erklärung der geringen Flexibilität der Hummeln kommt ein interessanter Aspekt in die Diskussion: Macht die Silberlinde ihre Nektarsammler abhängig? Der Nektar enthält tatsächlich Koffein. Die Forschung hat hierzu noch keine eindeutigen Ergebnisse erbracht (Stand 2021). Es gibt allerdings Hinweise, dass der Koffeingehalt tatsächlich ein entsprechendes Suchtverhalten auslöst.
Mein Fazit
Silberlinden scheinen nicht für den Tod von Hummeln und anderen Insekten verantwortlich zu sein. Im Gegenteil stellen sie im Spätsommer eine wichtige Nahrungsquelle dar, ohne die noch viel mehr Insekten frühzeitig verenden würden. In Strategien zur Anpassung an den Klimawandel sollten Silberlinden sicherlich eine Rolle spielen – sie sorgen für kühlere, grünere und sogar insektenfreundlichere Städte.