Macht das Klima eine Regel, streicht der Bauer schnell die Segel
Werden Bauernregeln durch den Klimawandel exakter? Oder doch vollständig außer Kraft gesetzt? Kalender, Klimawandel und jahreszeitlicher Wechsel – gemeinsam betrachtet entstehen ganz neue Einsichten und Antworten auf diese Fragen. Versprochen!
Bauernregel, Lostag, Wetterbote und Singularität – die Grundbegriffe
Eine Bauernregel ist ein Spruch, der eine Aussage über eine empirische Wetterbeobachtung trifft und diese mit einer Folge oder Empfehlung für die Landwirtschaft verbindet. Um das System der Bauernregeln jedoch ganz zu verstehen, sind noch einige wenige Begriffe von Bedeutung: Lostage, Wetterboten und Singularitäten.
Lostage (nicht Lost Age, Verlorenes Zeitalter, sondern Tage des Loses, also des Schicksals) sind oft der Gegenstand der Bauernregeln, bestimmte Tage im Jahr, an denen sich das Wetter-Los für einen bestimmten Zeitraum entscheiden soll. Ein Beispiel ist Mariä Lichtmess, der 2. Februar. Allein für Lichtmess gibt es ein Duzend Bauernregeln mit zahlreichen Abwandlungen, die bekanntesten dürften sein „Lichtmess im Klee, Ostern im Schnee“ und „Lichtmess – bei Tag ess‘“ (letztere Regel bedeutet, dass die Tage ab Lichtmess wieder so lang sind, dass man das Abendessen bei Tageslicht zu sich nehmen kann). Lichtmess – bei Tag ess‘ ist allerdings bereits ein Sonderfall, denn sie macht keine Vorhersage über das Wetter, sondern beschreibt die Entwicklung der Tageslängen, die klimatologisch-meteorologisch ja unveränderlich sind.
Wetterboten sind Zeiger für sehr kurzfristige Wetterentwicklungen. Ein Beispiel: Fliegen die Schwalben hoch, bleibt das Wetter „gut“ (also sonnig und warm), fliegen sie tief, wird das Wetter schlecht. Was mit der Flughöhe ihrer Nahrung zu tun hat. Und die Flughöhe von Fliegen hängt mit der Thermik zusammen. Scheint die Sonne und der Boden erwärmt sich, werden Fliegen von aufsteigender Luft nach oben gedrückt… Ein weiterer Wetterbote ist das Abendrot, das eine Vorhersage des Wetters des Folgetages erlauben soll.
Eine meteorologische Singularität ist eine regelmäßige Ausnahmeerscheinung. Ein Widerspruch? Nein, denn die Singularität bezeichnet Wetterlagen, die einerseits eine Ausnahme vom linearen Verlauf des Jahreswetters sind, andererseits jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten. Die Eisheiligen im Mai gehören dazu, die Hundstage und das Tauwetter an Weihnachten.
Schon Aristoteles und Jesus wussten…
Die ersten Bauernregeln oder Tage-Wetter-Korrelationen gab es schon im Altertum. Aristoteles als Universalgelehrter seiner Zeit (4. vorchristliches Jahrhundert) verfasste eine Schrift darüber. Und obwohl Jesus kein Bauer war und auch kein früher Meteorologe, soll er laut Lukas (12, 54-55) gesagt haben: „Sobald ihr im Westen Wolken aufsteigen seht, sagt ihr: Es gibt Regen. Und es kommt so. Und wenn der Südwind weht, dann sagt ihr: Es wird heiß. Und es trifft ein.“ Es haben sich an Wettervorhersagen und -regeln also schon mehrere historische Größen versucht.
Ob nun eine Bauernregel eher zutrifft oder wertlos ist, hängt von mehreren Dingen ab:
- Wann wurde sie geprägt – vor oder nach Einführung des Gregorianischen Kalenders?
- Wo wurde sie geprägt?
- Wie exakt sind die Tage-Wetter-Korrelationen beschrieben?
Damit lässt sich sodann beantworten, wie sich das System der Bauernregeln bei fortschreitendem Klimawandel wahrscheinlich entwickeln wird.
Aus welcher Zeit stammt die Bauernregel?
Sehr viele unserer heute noch bekannten Bauernregeln stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, und schon damals wurde ihnen eine starke Zuverlässigkeit wohl abgesprochen. Allerdings befassten sich in den folgenden Jahrhunderten mehrere bedeutende Wissenschaftler mit Wetterphänomenen und versuchten, die Aussagen von Bauernregeln in ein entstehendes wissenschaftliches System einzuordnen. Das Aufkommen der Statistik als wissenschaftliche Disziplin erlaubte dann viel später den Nachweis, dass Bauernregeln doch nicht ganz so willkürlich und ungenau sind.
Die Umstellung des Kalenders vom julianischen auf den gregorianischen hat das System der Bauernregeln teilweise ab absurdum geführt: Alle Regeln, die vor der Einführung des Gregorianischen Kalenders 1582 geprägt wurden, verloren ihre Gültigkeit (sofern von Gültigkeit überhaupt jemals gesprochen werden konnte). So soll der Siebenschläfertag 27. Juni laut Bauernregel anzeigen, wie das Wetter in den darauffolgenden sieben Wochen werden wird. Heute heißt der Tag des 27. Juni zwar immer noch Siebenschläfertag, aber der ursprüngliche 27.6. des julianischen Kalenders ist in unserem Kalender der 10. Juli. Bauernregeln, die ganze Monate statt spezifische Tage mit Wetterentwicklungen korrelieren, sollten vor diesem Hintergrund eine höhere Trefferquote haben (einen wissenschaftlich geführten Nachweis hierzu konnte ich jedoch nicht finden).
Wo wurde die Bauernregel geprägt?
Bauernregeln müssen in einem regional beschränkten Kontext betrachtet werden – sie treffen meist nur dort ungefähr zu, wo sie ursprünglich formuliert wurden. Eine Regel von der schwäbischen Ostalb wird in der niederrheinischen Tiefebene oder in der Holsteinischen Schweiz völlig nutzlos sein. Daher gibt es auch widersprüchliche Bauernregeln, weil sie in verschiedenen Regionen geprägt wurden. Generell wissen wir gar nicht, wie zuverlässig die Regeln in den Jahrzehnten ihrer Entstehung dort waren.
Zwischenfazit: Trafen oder treffen Bauernregeln nun zu oder nicht?
Eine interessante wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 2006 kommt zu folgendem Schluss: „Von den insgesamt 26 geprüften Witterungs- und Ernteregeln weisen 4 eine positive und 4 eine negative (d.h. das Gegenteil trifft zu) Signifikanz auf.“[1] Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich auf die Jahre 1950 bis 2004 in den Regionen Oststeiermark und Graz (Österreich). Der Autor der Studie merkt an, dass nicht klar war, aus welcher Zeit die Bauernregeln stammen – also ob aus julianischer oder gregorianischer Kalender-Epoche. Die Studie sagt nichts darüber aus, ob die Bauernregeln in früheren Jahrhunderten eher zugetroffen haben. Die Basis für Aussagen dieser Art ist insgesamt schwach wegen fehlender genauer Messungen in vor-gregorianischer Kalenderzeit.
Bauernregeln zeigen trotzdem bestimmte Tendenzen richtig an, sofern man sie nicht auf die Lostage beschränkt, sondern auf den Zeitraum mehrerer Tage um die Lostage herum erweitert. Dann erscheint auch der Siebenschläfertag in einem neuen Wetterleuchten, das sich wissenschaftlich erklären lässt. Anfang Juli stabilisiert sich in der nördlichen Hemisphäre ein in ca. zehn Kilometern Höhe befindliches Starkwindband, das ungefähr in 40° bis 60° geographischer Breite (also zwischen Neapel und Oslo) die Nordhalbkugel umgibt, der sogenannte Jetstream. Der Luftstrom bewegt sich mit Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h. In den Wochen ab Juli nimmt der Jetstream Einfluss auf das Wetter in Mitteleuropa durch starke Wechselwirkungen mit anderen meteorologischen Entwicklungen. Verläuft der Jetstream eher bei 60° nördlicher Breite, setzt sich bei uns ein Hochdruckgebiet, das Azorenhoch aus dem Süden, durch. Verläuft der Jetstream jedoch weiter südlich über Europa, dominiert ein Tiefdruckgebiet aus der Region um Island, das uns „schlechtes“ Sommerwetter beschert. Erweitert man die Siebenschläfer-Regel nun auf einen Zeitraum von vier bis fünf Tagen vor und nach dem 27.6., steigt ihre Trefferquote auf etwa 70%.
Das Regelbäuerlein im Klimawandel
Was macht der Klimawandel mit den Bauernregeln? Der Klimawandel in unseren Breiten bedeutet, dass
- die Temperaturen steigen,
- die Vegetationsperioden länger werden und
- sich das Verhältnis von Niederschlag zu Temperatur verändert.
Höhere Temperaturen bedeuten weniger Fröste, entsprechend werden Bauernregeln zu Schnee und Eis noch ungenauer. Das ist ein Allgemeinplatz, also weg damit. Spannender ist der Blick auf den Kalenderwechsel in Verbindung mit der Veränderung der Vegetationsperioden.
Eine gewagte These – vielleicht sogar eine falsche
Der Gregorianische Kalender hat sämtliche Daten um etwa zehn bis dreizehn Tage „nach vorn“ geschoben, also in Richtung Ende des Jahres. Wie oben beschrieben, ist der Siebenschläfertag im Julianischen Kalender der 27.6. Im Jahr 2020 ist er im Gregorianischen Kalender immer noch auf den 27.6. datiert, müsste planetarisch betrachtet aber der 10.7. sein. Daher: Das planetare bzw. meteorologische System am Tag des 27.6. im Julianischen Kalender zur Zeit der Formulierung der Bauernregel besteht heute im Gregorianischen Kalender am 10.7. Damals war klimatisch gesehen am 27.6. des Julianischen Kalenders also bereits der 10.7. unseres Kalenders. Es war Ende Juni daher schon „mehr Sommer“, als es am 27.6. des Gregorianischen Kalenders war. Das ist die eine Seite der These.
Die andere Seite: Die Steigerung der globalen Durchschnittstemperatur hat zur Folge, dass wir heute bereits an einem 27.6. die Temperaturen haben können, die vor dem menschgemachten Klimawandel zwei Wochen später – also an einem 10.7. – bestanden haben. Das würde bedeuten, dass sehr alte Bauernregeln zwar wegen der Kalenderumstellung nicht mehr gelten würden, der Klimawandel diese Umstellung aber gewissermaßen zurückdreht. Diese Bauernregeln würden heute also ungefähr so genau oder auch ungenau zutreffen, wie zur Zeit ihrer Entstehung, als noch der Julianische Kalender galt.
Das ist eine gewagte These. Vielleicht ist sie richtig, vielleicht nicht. Geben Sie mir Feedback, was Sie davon halten!
Einige kritische Bemerkungen zur Richtigkeit der These mache ich selbst:
- Die Verlängerung der Vegetationsperioden bedeutet, dass die Perioden nicht nur früher beginnen, sondern auch später enden. Daher würde der korrigierende Einfluss des Klimawandels nur in der ersten Hälfte des Jahres funktionieren, solange die höheren Temperaturen zu einem früheren Frühjahr und einem früheren Sommer führen. Ist das Temperaturmaximum des Jahres überschritten, bewirkt die höhere Temperatur durch den Klimawandel den gegenteiligen Effekt, Herbst und Winter beginnen später. Der Klimawandel führt also nicht dazu, dass alle Jahreszeiten früher beginnen.
- Die höheren Temperaturen bewirken globale Veränderungen des meteorologischen Systems, wodurch triviale Wenn-Dann-Beziehungen von Bauernregeln vollständig außer Kraft gesetzt werden können. So wird der Jetstream momentan wahrscheinlich schwächer, und man weiß bisher nicht, ob das gesamte System einmal kippt. Dann freilich sind Fragen über die Wirksamkeit von Bauernregeln völlig irrelevant…
- Temperaturen, Luftdruck, verfügbare Wassermenge bzw. Niederschläge und weitere Faktoren stehen in einem Wechselverhältnis zueinander, das in Bewegung gerät, wenn sich deren Verhältnisse verändern. Daher ist die Betrachtung allein der Temperatur im Jahresverlauf zu simpel, um die Entwicklung des Klimas über Bauernregeln abzuschätzen.
Sind diese Überlegungen rein akademisch oder sogar ohne Grundlage? Ja und nein. Die Zuverlässigkeit von Bauernregeln ist ohnehin nicht sehr hoch. Daher ist die Frage, ob der Klimawandel unzuverlässige Regeln beeinflusst, teilweise eine akademische. Zugleich ist die Vorhersehbarkeit klimatischer Entwicklungen für Gartenbau und Landwirtschaft eine zentrale Herausforderung für uns Menschen. Es ist gut und richtig, dass wir heute verlässlichere Systeme nutzen. Ihr Ursprung liegt jedoch in den vielen – manchmal geglückten, oft erfolglosen – Versuchen vergangener Jahrhunderte, eine Ordnung in ein als chaotisch wahrgenommenes Klima- und Wettersystem zu bringen. Bauernregeln spielten hierbei eine wichtige Rolle.
[1] Moser, Michael (2006). Bauernregeln wissenschaftlich betrachtet: Untersuchung empirischer Witterungsund Klimaregeln in den Regionen Oststeiermark und Graz. Universität Graz, 2006