Schwiegermutters Resterampe: Der Goldkugelkaktus

Steht überall rum, ist aber vom Aussterben bedroht? Kroenleinia grusonii

In Muttis Blumenfenster (als unförmiges Ding, das wegzugeben Mutti nie übers Herz gebracht hat) oder als kleine unscheinbare Jungkakteen im Baumarkt hat jeder ihn wohl schon gesehen. Und beide Präsentationsweisen werden dem Schwiegermuttersitz oder Goldkugelkaktus irgendwie nicht gerecht, spiegeln aber die Widersprüchlichkeit von Kroenleinia grusonii, wie er wissenschaftlich genannt wird.

Goldkugelkaktus, ca. 40 cm Durchmesser.

Runter von der Resterampe

Doch von vorn: Früher hieß der runde Stachelkopf Echinocactus grusonii und stand in der Gattung Echinocactus. Diese Gattung war seit ihrer Schaffung vor knapp 200 Jahren mehr ein Sammelbecken für sämtliche Kaktusarten mit Kugelform und wolligem Scheitel, von denen man nicht so richtig wusste, wo man sie sonst taxonomisch hinstecken sollte. Nennen wir sie also mal die Resterampe des Kakteenreichs. Eine genetische Sequenzierung in den letzten Jahren brachte ans Licht, dass der E. grusonii aus der Resterampe herausgenommen und in eine eigene Gattung gestellt werden sollte. Eigens für ihn wurde die Gattung Kroenleinia geschaffen (nach dem Kakteenforscher Krönlein), und E. grusonii hieß fortan Kroenleinia grusonii.

Das Verbreitungsgebiet von K. grusonii war in der Neuzeit recht begrenzt. Bekannt sind nur wenige Vorkommen in Mexiko. Eines davon fiel dem Bau eines Staudammes zum Opfer, das zweite ist einige hundert Kilometer davon entfernt. Quer durchs Internet scheint es ein Ausweis von Fachwissen zu sein, den Namen des Dammes wiederzukäuen, dabei vermute ich, dass alle bei Wikipedia abgeschrieben haben.

Also was nun? Gefährdet? Mal so, mal so…

K. grusonii ist in Anhang II des Washingtoner Artenabkommens CITES gelistet. Das bedeutet, dass der internationale Handel nur mit einer Unbedenklichkeitsprüfung erlaubt ist. Des Weiteren wurde er 2002 als „critically endangered“, also als „vom Aussterben bedroht“ in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN (International Union for Conservation of Nature) geführt, elf Jahre später nur noch als „endangered“ (gefährdet/bedroht) mit 11000 ausgewachsenen Exemplaren („mature individuals“), Tendenz sinkend. Ist er aber tatsächlich fast ausgestorben? Nein, ist er nicht, denn sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich ja auf die oben beschriebenen Blumenfenster, außerdem auf Terrassen, Vorgärten, Garageneinfahrten, Autohäuser etc. Diese groteske Situation – Gefährdung in der Natur einerseits, extrem verbreitetes künstliches Vorkommen durch Nachzuchten andererseits – zeigt auch ein Blick in die GBIF (Global Biodiversity Information Facility), eine extrem große offene Datenbank: Die Suche von K. grusonii ergibt weltweit zahlreiche Treffer, und als Beweis findet man an einigen Standorten Fotos von Exemplaren in Blumentöpfen oder in botanischen Gärten, wie in Norwegen oder an der Uni Marburg…

Dornennester mit Haupt- und Nebendornen (s. Text unten).

Wiederansiedlung im Ursprungsgebiet?

Von Wiederansiedelungsversuchen im ursprünglichen Verbreitungsgebiet in Mexiko ist mir nichts bekannt, Nachfragen bei einigen Botanikern blieben ohne positives Ergebnis. Das leitet zur Frage über: Sollte man überhaupt versuchen, eine gefährdete oder gar vom Aussterben bedrohte Art in ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet wieder heimisch zu machen? Auf diese Frage kann ich hier nicht eingehen, ihr widme ich möglichst bald eine ganze Reihe von Artikeln. Ganz kurz aber ein Anstoß, der beim Finden von Antworten hilfreich sein kann: Hat ein Organismus eine ökosystemerhaltende Funktion oder nicht? Füllen andere Organismen die Lücke? Wie groß ist der Aufwand einer Wiederansiedelung und was könnte man mit diesem Aufwand sonst an nützlichen Dingen machen? Das Thema ist komplex und spannend.

Der Schwiergermuttersitz am Klimawandel-Tisch?

Am Goldkugelkaktus scheiden sich die Geister. Die einen finden ihn schön, die anderen sehen in ihm nur einen dornigen Klumpen. Im Klimawandelgarten hat er einen Platz sicher, denn durch seinen haarigen Kopf ist er vor praller Sonne geschützt. In unseren Breiten reicht ihm Regenwasser, das Problem ist eher das überstehende Wasser nach Niederschlag. Also bitte das Abgießen nicht vergessen.

Fun Fact zum Schluss: Aufgepasst beim Umhertragen großer Goldkugelkaktus-Exemplare (z.B. vom Garten ins Winterquartier)! Wenn Ihnen einer auf die Hand fällt, bohren sich die Dornen zentimetertief ins Fleisch und verbiegen dann auch ganz gern. Der Schmerz ist sagenhaft intensiv, und die Löcher in der Hand ziemlich groß, weil die Dornen eine geriffelte Oberfläche haben. Die Wunden bluten hernach sehr stark…

Und ganz zum Schluss ein paar relevante Daten von K. grusonii (Hildmann) Lodé:

Aussehen: Der Stamm wird bis zu 80 cm breit und 130 cm hoch und hat bis zu 37 Rippen, auf denen Dornennester wachsen. Die 3 – 4 Mitteldornen werden länger als die 5 cm, wie auf Wikipedia angegeben, eher 7 – 8 cm; die ca. doppelt so viele Dornen am Rand der Nester bleiben etwas kürzer. Nur ältere Exemplare blühen. Blüten ca. 5 cm groß und meistens goldgelb. Früchte mit weißen, wollartigen Fäden bedeckt, sie enthalten viele sehr kleine Samen. Keine Blätter.

Ordnung: Nelkenartige

Familie: Kakteen

Gattung: Kroenleinia

Zur Einordnung der Gattung Echinocactus: Eine starke Verwandtschaft gab es unter den ursprünglich knapp 140 Arten der Gattung nicht, und so wurden sie im Lauf der Zeit in andere Gattungen „umsortiert“, um die Verwandtschaftverhältnisse besser zu spiegeln. Inzwischen gibt es nur noch vier Echinocactus-Arten.

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