Mein Freund, der Baum: X-wurzler, eine Einführung

Klimawandelgarten 2030+. Wer gehört rein, wer gehört raus?

Es gibt Menschen, deren Garten so groß ist, dass sie Bäume darauf pflanzen können. Andere Gartenbesitzer*innen wiederum pflanzen lediglich Heckenbäume, der Begriff – den ich gerade erfunden habe – ist selbsterklärend. Egal, welchem Zweck die Bäume dienen sollen, es werden zwei widerstrebende Trends deutlich: Der kurzfristige Zeitgeist und der Klimawandel.

Warum ist die Thuja in den letzten Jahren so hip geworden? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es an der Vermutung, dass sie pflegeleicht sei. Sie ist inzwischen ja in tausendfacher Ausführung selbst in entlegenen Dörfern in so entlegenen Regionen wie der Schwäbischen Alb zu finden. Aus welchen Gründen nun auch immer die Thuja den Gartenmärkten und Gärtnereien ein einträgliches Auskommen beschert, ein Fakt ist: Die Thuja passt in keinen Klimawandelgarten, denn sie ist schlicht klimawandeluntauglich. Ein Grund: Sie ist eine Flachwurzlerin, ihre Wurzeln verzweigen sich knapp unter der Bodenoberfläche. Daher nimmt sie kein Grundwasser auf, sondern braucht Regenwasser.

Flachwurzler zeigen besonders in stark verdichteten und Böden mit dünner Erdkrume ihre Überlebensvorteile. Hier umwachsen die Wurzeln auch freiliegende Gesteinsbrocken. Sie sind sehr gut in der Lage, Regenwasser und die im Boden in Lösung gehenden Mineralien rasch aufzunehmen. Diese „Ernährungsstrategie“ teilt die Thuja mit einer langen Reihe anderer Baumarten:

  • Birke*
  • einige Ahornarten
  • Fichte
  • Haselnuss
  • Magnolie
  • Hainbuche*
  • Pappel
  • Rosskastanie
  • Weide

In Zeiten des Klimawandels, wenn Niederschlag tendenziell seltener wird, stößt diese Strategie jedoch schnell an Grenzen. Neben der Unfähigkeit, Grundwasser aufzunehmen, sollte ein weiterer Nachteil des flachen Wurzelwerks nicht ignoriert werden. Es verankert die Pflanze nicht so stabil im Boden, wie es tiefe Wurzeln vermögen. Thuja, Birken, Fichten sind daher viel stärker windwurfgefährdet als Tiefwurzler.

Ich wage daher die nicht so kühne Prognose, dass Flachwurzler in den kommenden Jahren und Jahrzehnten tendenziell in ihren Beständen zurückgehen werden – wenn wir sie nicht durch immer intensivere Maßnahmen wie Bewässerung, Sturmsicherung und weitere künstlich am Leben erhalten. Wünschenswert ist dieser Mehraufwand sicher nicht, auch weil wir pflegeleichtere, umweltschonendere Alternativen haben.

Tiefwurzler, die mit Pfahlwurzeln direkt unter dem Stamm tief in den Boden vordringen und teilweise sogar steinige oder felsige Untergründe durchwachsen, haben im Vergleich zu Flachwurzlern deutliche Überlebensvorteile. Zu ihnen gehören

  • Eibe
  • Eiche
  • Esche
  • Esskastanie
  • Föhre
  • Lärche
  • Linde
  • Robinie / Scheinakazie
  • Wacholder
  • Walnuss
  • Weißdorn
  • Tanne.

Sie wachsen ursprünglich in trockenen Regionen, oft auf kiesigen Untergründen. Im Garten haben sie den Vorteil, dass sie durch ihr schmales Wurzelwerk anderen Pflanzen Platz lassen und einen stabilen Schutz gegen Stürme bieten.

Fichte, kaputt. So sieht eine Fichte nach Windwurf aus. Quelle: Schmidti. https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Flachwurzler.JPG

Die Welt ist nicht nur Schwarz und Weiß, und das gilt auch bei Tief- und Flachwurzlern. Zwischen dem Schwarz und dem Weiß liegen die Herzwurzler. Ihr Wurzelwerk wächst in alle Richtungen und ist weder sehr tief noch ausgeprägt flach. Um die Sache ein wenig komplizierter zu machen, sind die Übergänge zwischen Flach-, Tief- und Herzwurzlern fließend. Um die Sache ein wenig realitätsnäher zu machen, können sich zahlreiche Pflanzen flexibel an die Bodenbeschaffenheit anpassen und dann eher tief oder eher flach wurzeln. Um die Sache ein wenig verwirrender zu machen, gehören die mit einem * gekennzeichneten Bäume in der ersten Liste oben je nach Boden mal zu den Flach-, mal zu den Herzwurzlern, und Unterschiede gibt es auch innerartlich.

Auf „typische“ Flachwurzler sollte man in einem klimawandeltoleranten Garten verzichten. Thuja, Pappel, Hartriegel, Rosskastanie, aber auch viele Obstbäume wie Pflaume und Birne mögen heute noch zum gewohnten Garten- und Parkbild gehören – im Garten der Jahre 2030+ haben sie nichts mehr verloren. Wer neu pflanzt, sollte sich anders orientieren, also lieber Esskastanie als Rosskastanie, lieber Linde als Pappel, lieber Walnuss als Haselnuss pflanzen.

Wer weiterhin Flachwurzler im Garten haben will, nehme sich folgenden irren Pflegetipp zu Herzen (den ich nur sinngemäß wiedergebe, um den Autor nicht bloßzustellen): „An Flachwurzlern sollte der Wasserschlauch täglich mindestens eine halbe Stunde laufen, um den aktuellen Wasserbedarf zu decken.“ Mit den Trockensommern der Jahre 2018 bis 2020 im Gedächtnis kann ein solcher Tipp eigentlich nicht ernst gemeint sein. Ein solches Verhalten ist nicht nur teuer, sondern angesichts fallender Grundwasserspiegel auch völlig verantwortungslos.

Meine subjektive Auswahl an verschiedenen X-Wurzlern soll verdeutlichen, welche Vorteile Tief- gegenüber Flachwurzlern in einer Klimawandelwelt haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass Tiefwurzler generell klimawandel- oder trockenheitsresistent sind. Sie können lediglich aus tieferen Bodenschichten Wasser saugen und sind daher weniger stark auf Regen angewiesen, und ihre Stabilität wappnet sie besser gegen Stürme. Ob sie wirklich in einer trockenen, stürmischen Umwelt überleben, hängt noch von weiteren Faktoren ab, z.B. von der Hitzeverträglichkeit der Blätter (bzw. der darin ablaufenden zellulären Vorgänge) oder der Resistenz gegen Schädlinge. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel…


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